Julia Mauracher. Powered by Blogger.

Mein Bonus und Ich: das dritte Jahr im neuen Leben


Seit einigen Wochen schon rückt dieses Datum immer näher, unaufhaltsam. Mit der Zeitumstellung und der Tatsache, dass es früh abends schon dunkel ist, kamen die schlechten Erinnerungen an diese Zeit und alle Gefühle wieder verstärkt hoch.

Also beschäftigte ich mich damit, was ich denn dieses Jahr in meinen „Jahresbericht“ schreiben möchte.
Ich fing mehrmals damit an, aber kam nie wirklich weit.
Ich wusste nicht, wie ich zu diesem 3. Jahr stehe.
War es gut, war es schlecht?
Warum nimmt mich die ganze Geschichte dieses Jahr so viel mehr mit?

"Mir wurde nichts genommen, denn wir alle geben irgendwann unser Leben. Mir wurde was geschenkt."



Heute ist der 10.12. und ich bin endlich bereit, diesen Text zu verfassen.
Während ich ihn schreibe, liegt neben mir ein zerknülltes Taschentuch und ich weine.
Vor zehn Minuten habe ich die Nachricht erhalten, dass die Mama einer lieben Freundin ihren Kampf gegen Krebs verloren hat und vorgestern gestorben ist.
Schon gestern, als ich kurz in Gedanken war, kam mir ein Zitat in den Kopf und ich wusste erst nicht, wohin damit.

„Das alles ist Bonus. Es war vorbei, aber dann kam ich zurück. Alles was danach geschehen ist, ist ein Bonus.“

Erst wusste ich nicht, woher das Zitat kommt, heute Morgen ist es mir eingefallen. Meredith Grey sagt diese Worte in der Fernsehsendung „Grey’s Anatomy“. Sie spielt darauf an, dass sie vor vielen Jahren, ganz am Anfang der Serie, beinahe ertrunken wäre und wiederbelebt wurde. Danach hat sie ihre große Liebe geheiratet, wurde Mama, lernte ihre Halbschwestern kennen, gewann den höchsten medizinischen Preis. Sie bezeichnet all diese Dinge als „Bonus“.
Nach der traurigen Nachricht eben möchte ich ihn am liebsten in eine warme Decke packen und unterm Bett verstecken, meinen Bonus.
Er ist das Wertvollste, was mir je geschenkt wurde.

Nicht jeder bekommt diesen Bonus und vermutlich ist es für die Angehörigen am schwierigsten, dass es ihn nicht gibt.

Wer entscheidet, ob man ihn bekommt oder nicht? Ich glaube nicht an Gott, also sage ich jetzt einfach mal: pures Glück.

Ich wurde am 15.12.2016 mit einem riesengroßen Bonus beschenkt. Mir wurde nichts genommen, denn wir alle geben irgendwann unser Leben. Mir wurde was geschenkt.

Im Alltag vergisst man oft, dass jeder Tag ein Geschenk ist. Erst wenn Weihnachten näher rückt oder so Nachrichten wie eben das Leben durcheinander bringen, verstärkt sich diese Aufmerksamkeit enorm. Jetzt bin ich fast schon froh, dass ich heute Morgen meinen Schweinehund überwunden habe und ganze 45 Minuten lang eine Yin-Yoga Einheit gemacht habe. Das mache ich nie, eigentlich soll es bei mir immer schnell und knackig gehen.
Aber so habe ich heute schon mal 45 Minuten von meinem Bonus mit mir, meinem Körper und Achtsamkeit verbracht. Ich sollte es viel öfter tun.




Die Torte in Frontalansicht




"Mir ist das zu viel. Ich kann nicht alles schaffen. Dafür reicht meine Kraft nicht."



Eine der ersten Entwürfe zu diesem Text ging so:
An Silvester 2014 habe ich gesagt „Das war das beste Jahr meines Lebens.“ Es war das Jahr, in dem ich meinen Abschluss von der Schauspielschule machte, in tollen Produktionen auf der Bühne stand, beim Film arbeitete und monatelang jeden Tag gerne zur Arbeit ging, für fünf Wochen in Berlin lebte. Ein sehr berufliches und sehr erfolgreiches Jahr.
Ende 2019 sage ich wieder: „Das war eines der besten Jahre meines Lebens.“

Was in diesem Jahr passiert ist? Ich bin durch die Meisterprüfung gerasselt, habe meinen Job gekündigt und mich arbeitslos gemeldet. Beruflich war dieses Jahr bei weitem nicht so erfolgreich, wie geplant oder gewünscht.

Aber zwischen diesen Jahren liegt der 15.12.2016, der Tag, an dem sich meine Sicht auf das Leben verändert hat.

Wenn ich auf 2019 zurückblicke, dann sehe ich mich, wie ich endlich den Absprung schaffe und mich wage zu sagen: mir ist das zu viel. Ich kann nicht alles schaffen. Dafür reicht meine Kraft nicht.



Es ist das Jahr, in dem ich so weit wie noch nie von zu Hause weg verreise, auf einen Vulkan steige, mit Delfinen schwimme, eine Vanilleplantage besuche, doppelt Katzenmama werde, meine Schwester in Malaysia überrasche, den Tauchschein mache, drei wundervolle Hochzeiten von Menschen besuchen, deren Liebe mir nur so entgegensprüht. 

Es ist das Jahr, in dem ich den Namen für mein künftiges Unternehmen finde, mich ruhig und bedacht auf die zweite Runde der Meisterprüfung vorbereite, unendlich viele neue Türen aufmache um zu sehen, was dahinter liegt.

Ich habe meinen Bonus noch nie so würdevoll gelebt, wie in diesem Jahr. Und dazu gehörte auch, beruflich Misserfolge einzustecken und plötzlich ohne festen Gehalt dazustehen.





"Ich werfe mir nichts vor, ich bin, wie ich bin."



Ohne ihn noch mal gelesen zu haben erinnere ich mich, dass ich mir im Jahresbericht von 2018 gewünscht habe, das neue Jahr würde etwas ruhiger werden als das Jahr zuvor. Vorerst leere Worte, denn nur drei Monate später lag ich mit einer Hirnhautentzündung in der inzwischen dritten Münchner Klinik. Eine Krankheit, die nicht extern, sondern intern hervorgerufen wurde. Im Verdacht: mein Immunsystem.
Mein nicht existierendes Immunsystem, welches durch Operationen, schwere Medikamente, monatelange Schmerzmittel und körperliche Einschränkungen total am Boden war. Statt mir die Zeit zu geben wieder aufzubauen, habe ich meinen Körper einfach weiterbelastet. Ich werfe mir nichts vor, ich bin, wie ich bin. 
Ich war schon immer eine „Aufsteherin“, eine „Weitermacherin“. Nach dem Unfall wollte ich einfach nur eines und zwar weitermachen wie davor.

2018 holte ich mir dann erst eine EBV-Infektion, welche bei normal gesunden Menschen einfach unbemerkt bleibt. Bei mir brach es heftig aus und ich war wochenlang geschwächt.

Meine Reaktion darauf war, mir noch mehr Stress zuzumuten und den Meisterkurs zu beginnen. Am ersten Tag des Kurses wurde ich fast ohnmächtig vor lauter Anstrengung – war mir egal. 

Kurz darauf spielte ich zum ersten Mal mit dem Gedanken, zu kündigen. Ich verwarf den Gedanken und machte weiter.

Die Meisterprüfung trat ich bereits überarbeitet an – zwei Wochen später brach die Hirnhautentzündung aus. Fünf Wochen lang war ich krank geschrieben und noch während dieser Zeit reichte ich meine Kündigung ein.



Blumendekoration auf der Torte



"Heute bin ich so dankbar wie noch nie."


Mit dieser Entscheidung wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie nachlässig ich wirklich mit meinem Bonus umgegangen bin. Nun ist ein halbes Jahr vergangen und ich habe so viel gelernt.

Pausen machen, ein Thema, das mich schon so lange begleitet. 

Aufträge absagen, wenn sie mich zeitlich zu sehr stressen.

Momente für mich selbst finden.

Den Bus ohne mich fahren lassen, ich nehme einfach den nächsten. Grade vergnügt sich meine Katze Nala so sehr mit mir und dem Federspielzeug, warum sollte ich ihr und mir nicht noch extra zehn Minuten schenken?

Meine Psychotherapie wieder fortsetzen. Einsehen, dass man selbst nach drei Jahren noch an den Ausläufern einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden kann und das okay ist.

Denn manchmal wiegt er hundert Kilo, dieser Bonus. Es gibt Tage, an denen ich nicht aus dem Bett komme, an denen ich nicht weiß ob der Schmerz jemals aufhören wird. Nicht nur in den Knochen, sondern auch in der Seele.
Werde ich jemals bei Dunkelheit im Straßenverkehr unterwegs sein können, ohne ständig furchtbare Bilder vor Augen zu haben?
Wird jemals die Winterzeit anbrechen, ohne dass ich die Kälte ständig an den verletzten Knochen spüre?

Werde ich jemals aufhören, nach diesem einen Auto Ausschau zu halten ohne überhaupt zu wissen, was ich diesem Menschen am Steuer überhaupt sagen würde?
Vielleicht gehört es einfach dazu, zum Bonus.
Der Schmerz, die Erinnerungen, die Angst, die Tränen und die Alpträume.

Ein kleiner Preis dafür, dass ich mein wertvolles Leben weiter leben darf.


So endet also das dritte Jahr im Leben 2.0

Ein sehr aufregendes und wunderschönes Jahr.

Heute bin ich so dankbar wie noch nie, dass der Bonus momentan auch meine Liebsten mit einschließt.

Gesunde Eltern, eine gesunde und lebensfrohe Schwester, die durch die Weltmeere taucht und fremde Kontinente erkundet. Großeltern, mit denen man sich zum Rummy-Spielen treffen kann. Zwei flauschige Katzenkinder, die mir trotz Chaos in der Wohnung so viel Freude bereiten. Einen Partner an meiner Seite, dem ich all das erzählen kann und mit dem ich an fröhlicheren Tagen lachen kann, bis mir der Bauch wehtut.



Mein Bonus ist der Wahnsinn. Und wenn ich könnte, dann würde ich gerne etwas davon abgeben an Menschen, die ihn auch verdient hätten und nie bekommen haben. 

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