Julia Mauracher. Powered by Blogger.

Ein Rückblick auf das zweite Jahr im neuen Leben

Ein bunter Blumenstrauß und Nahaufnahme Blüten


Erfolge, Erkenntnisse und Grenzen: 2018 hat mich sehr gefordert


Bevor ich diesen Text geschrieben habe, habe ich mir den Beitrag vom letzten Jahrestag durchgelesen. Es war schön zu lesen, wie viel Energie ich damals hatte, wie euphorisch ich wirkte. Damals fühlte es sich so an, als hätte ich es "über den Berg" geschafft und die schwierigste Zeit hinter mir.
Glaubt es mir oder nicht, im Endeffekt war das zweite Jahr „danach“ für mich viel, viel schwieriger als das Erste. Ich bin in diesem Jahr so oft an meine Grenzen gestoßen wie nie. Ich habe mich selbst so weit getrieben, bis ich nicht mehr konnte und mir selbst ein paar schwierige Dinge eingestehen musste.
Dieses Jahr war mein erfolgreichstes seit 2014. Und trotzdem werde ich nicht weitermachen wie bisher.
Es muss sich was ändern, und zwar dringend.

Silvester 2017.

Ich und mein Freund haben beschlossen, dieses Silvester alleine zu feiern, zu zweit in unserer damals neuen Wohnung. Es war ein sehr besonderer Tag für mich, ich konnte es kaum erwarten, 2017 hinter mir zu lassen. 2017 war für mich das „Aufbaujahr“, ein Jahr das nicht selbstbestimmt war, sondern von Ärzten, meinen Fortschritten, Versicherungen und Gutachten dirigiert wurde.
2018 wollte ich alles selbst bestimmen, vor allem die Geschwindigkeit. Ich hatte keine Lust mehr, mich ausbremsen zu lassen.

Den ganzen Silvestertag war ich aufgedreht, euphorisch, gut gelaunt. Als um Mitternacht die Klänge des Wiener Walzers aus dem Radio tönten (wir tanzen da traditionell einen Walzer), fiel zugleich auch mein persönlicher Startschuss.
Ich legte direkt groß los und war zu Gast bei „Enie backt“, der Backsendung auf Sixx. Kurz darauf meldete ich mich in Vorbereitung auf meine Selbstständigkeit zu einem BWL-Kurs an, der vier Monate lang zweimal pro Woche abends stattfinden sollte.
Projekte, neue Rezepte, Events – es war viel los. Obendrauf sagte ich zu keiner Einladung und keinem Vorschlag „Nein“, was bedeutete, dass ich viel unterwegs und auch viel auf Reisen war.
Ich wollte alles in mich aufsaugen, alles erleben, nichts verpassen. Obwohl mich mein Unfall von 2016 nur knapp fünf Monate komplett ausgebremst hatte, wurde ich das Gefühl nicht los, irgendetwas aufholen zu müssen. Es fühlte sich so an, als hätte ich richtig viel verpasst und müsste nun alle meine Träume und Lebenspläne innerhalb von sechs Monaten erreichen.
Wenn Freunde mich fragten, wann ich mal wieder Zeit für sie hatte, musste ich im Kalender lange blättern. Jeder Tag war vollgefüllt mit Terminen und Aufgaben, die ich mir größtenteils natürlich selbst auferlegt hatte.
Fast schon nebenbei liefen meine beiden Therapien weiter, ich schenkte ihnen wenig Beachtung und war eher auf die Zukunft und meine Pläne fokussiert als darauf, was passiert war.

Frühjahr 2017.

„Enie backt“ wurde ausgestrahlt, ich traf mein Idol Jamie Oliver persönlich, die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte einen Artikel über mich. Über meine Pläne, mich selbstständig zu machen.
Die Monate rasten dahin. Irgendwann Ende Mai, Mitte Juni bemerkte ich ein leises Piepsen im Ohr, das immer wieder mal auftrat und dann wieder verschwand. Ich wusste, was dies zu bedeuten hatte und ignorierte es trotzdem komplett.

Im Sommer wurde der Prüfungstermin für meinen Lehrabschluss bekanntgegeben, ich bestand den BWL Kurs mit Auszeichnung und mein zuvor befristetes Arbeitsverhältnis wurde in ein unbefristetes umgewandelt.



Nahaufnahme Rose und weitere Blüten


„Kein Stress, keine Anstrengung. Ruhen Sie sich aus, bis Sie wieder fit sind.


Und dann, mitten im August, war Schluss.
Es kam unmerklich, deutete sich aber trotzdem leise an.

Mir fiel auf, dass ich in keiner meiner beiden Therapien Fortschritte machte. Meine Rippen ziepten immer öfter, ich hatte wöchentlich Rückenschmerzen, konnte nicht mehr frei atmen. Auch meine Psychotherapie, wo ich noch immer daran arbeite, dieses Trauma vom Unfall zu verarbeiten, kam an einen Punkt wo ich nicht mehr wusste, ob es überhaupt Sinn hatte, weiterzumachen. Ich fühlte mich der Situation, den Erinnerungen und den Bildern, die immer wieder hochkommen, hilflos ausgeliefert.
An einem Wochenende in Garmisch brachen mein Freund und ich zu einer kleinen Wanderung auf, während der ich mich bereits nach zwanzig Minuten erschöpft setzen und einen halben Liter Wasser trinken musste.
Nach einer weiteren Wanderung eine Woche später lag ich am nächsten Tag komplett flach.
Das folgende Wochenende verbrachte ich im Krankenhaus.
Eine Diagnose gab es lange nicht.
Als sie dann da war, sagte der Arzt: „Kein Stress, keine Anstrengung. Ruhen Sie sich aus, bis Sie wieder fit sind.“
Dieser Spruch kam zu einem Zeitpunkt, an dem ich mich gerade erst mental für den Endspurt 2018 vorbereitet hatte. Die Lehrabschlussprüfung war nur drei Wochen entfernt. Der aufbauende Meisterkurs ebenso. Wir hatten einen Urlaub nach Sardinien gebucht und während der Wiesn-Zeit jedes Wochenende Freunde eingeladen.
Also ignorierte ich erneut den Rat vom Arzt und ruhte mich nicht aus.
Die Lehrabschlussprüfung sagte ich allerdings ab. Zum Glück, denn drei Wochen später zeigte sich, dass mein Körper diese Belastung niemals ertragen hätte.
Langweilig war es trotzdem nicht, der Meisterkurs erforderte ein wöchentliches Pendeln zwischen München und Innsbruck, ich nahm weiterhin Aufträge an und war auf Veranstaltungen eingeladen.
Ich forderte meinen Körper in etwa so, wie ich ihn vor knapp drei Jahren gefordert habe, als ich noch in der Gastronomie arbeitete und teilweise 14 Stunden lang schwere Tabletts schleppte.
Nur leider wurde mir von Tag zu Tag mehr bewusst, dass ich nicht mehr den Körper von 2015 habe. Dass ich nicht mehr leisten kann, was ich damals geleistet habe, schon gar nicht mit einem geschwächten Immunsystem und einem andauernden Erschöpfungszustand.
Je mehr mir das bewusst wurde, desto stärker drängten sich eine Frage ("Julia, was zur Hölle tust du denn???") und direkt danach auch eine andere Erkenntnis in meine Gedanken, bis ich sie irgendwann nicht mehr ignorieren konnte.


Blumenstrauß in Nahaufnahme


"Es wird meinen Unfall nicht ungeschehen machen."


Die Antwort auf die Frage, was ich denn eigentlich tue, war plötzlich so klar: ich versuchte mich von dem Geschehenen abzulenken, so zu tun als wäre es gar nicht passiert und in Windeseile mein Leben "zu Ende zu leben", damit ich in der nächsten lebensgefährlichen Situation sagen konnte: "Ok. Das war's und es war gut. Ich bin bereit."

Nur leider funktioniert das nicht.
Ich kann so viel arbeiten, reisen, unternehmen und planen wie ich will: es wird meinen Unfall nicht ungeschehen machen. Es ist trotzdem passiert. Und die bittere Pille, dass das alles zum Leben nun mal dazu gehört und dass es Menschen gibt, die sterben bevor sie "zu Ende gelebt" haben, musste ich wohl oder übel schlucken.

Diese Erkenntnis tat erstmal unfassbar weh.
Ich arbeite seit dem 16.12.2016, also bereits zwei Jahre daran, wieder „die Alte“ zu werden, meinen Kopf von schlimmen und düsteren Erinnerungen und Gedanken zu reinigen, wieder fit zu werden, erfolgreich zu sein, Träume zu verwirklichen.
Aber das tat ich wohl nur, um etwas „ungeschehen“ zu machen, etwas zu ignorieren und zu verdrängen, was sich letzten Endes niemals verdrängen lassen wird.
Ich fuhr Vollgas, weil ich dachte, ich könne damit die düsteren Zeiten vergessen und stattdessen Zufriedenheit, Glück und Erfüllung finden.
Und zwar schnell, denn obendrein hatte ich eben auch ständig das bedrückende Gefühl, keine Zeit zu haben.
Ich hatte totale Angst davor, wieder in eine lebensgefährliche Situation zu geraten und nicht das erleben zu können, was ich doch so gerne in meinem Leben erleben wollte.
Denn warum sollte ich nicht erneut in einen Unfall verwickelt werden und diesmal tatsächlich ums Leben kommen? Jeder Tag bringt neue Gefahren und oftmals braucht es keine „gefährliche Situation“, so wie es bei mir ja eigentlich war.
Es war ja nur mein Arbeitsweg, 10 Minuten Fahrradfahren zweimal pro Tag. Es kam einfach so unerwartet und überraschend, dass mein Kopf nicht mehr einschätzen konnte, ob tatsächlich ständig von überall und jedem Gefahr ausging oder nicht.
Ich war gefangen zwischen dem Drang, mein Leben mit allem zu füllen, was ich je erreichen wollte und dem Versuch, zu vergessen, warum ich eigentlich so einen Stress hatte.

Im Herbst 2018 herrschte in meinem Leben also Chaos.
Mir ging's nicht gut. Ich machte keinen Sport, weil ich mich zu schwach dafür fühlte. Ich hatte keine Lust Winterklamotten zu shoppen, auf übermäßig viele Unternehmungen oder Feiern zu gehen. Die anstehenden Prüfungen jagten mir mächtig Respekt und Angst ein. 
Weihnachtsstimmung – Fehlanzeige.
Instagram und mein Blog strengten mich an.

Nach diesem Tief aber kam vor ein paar Wochen eine Entscheidung und wieder danach ein großes Aufatmen.
Denn ich erkannte, dass die Tatsache, dass ich es nicht ungeschehen machen kann, mir eine große Freiheit gab. Die Freiheit, es zu akzeptieren, in mein Leben aufzunehmen und Entscheidungen zu treffen, die vielleicht egoistisch wirken, aber im Endeffekt einfach notwendig sind.
Und sie schenkte mir Zeit.

Ich atmete tief durch und schaltete in den ersten Gang.
Das, was meine Familie, mein Partner, meine Freunde und Arbeitskollegen schon seit einem Jahr sagen, kam endlich, endlich bei mir an.

Was ich jetzt brauche, ist ein wenig Ruhe.
Weniger Stress und Ehrgeiz.
Ich habe mir hierfür einen Plan zurechtgelegt und hoffe wirklich sehr, dass ich diesen Plan in den nächsten Monaten auch befolgen kann.
Die Devise lautet auf jeden Fall: weniger arbeiten und mehr für mich und meine Gesundheit tun.
Die Prüfungen Schritt für Schritt, eine nach der anderen, ablegen. Ohne Stress und unnötigen Ehrgeiz.
Öfters mal zur Osteophatie gehen. An Wochenenden mit meinem Freund in ein Wellnesshotel fahren. Einen langen Urlaub machen. Ausschlafen.
Die geplante Firmengründung klein halten. Aufträge absagen, wenn sie zu stressig sind.

Dieser Unfall hat mich wahnsinnig geschwächt und verunsichert. Ich habe mich dagegen gesträubt, wollte stark sein, mich nicht unterkriegen lassen. Mir nichts anmerken lassen.
Aber so funktioniert das nicht. Früher oder später muss man akzeptieren, dass man ein anderer Mensch geworden ist und nach neuen Regeln lebt.

Meine neue Regel: ich muss nicht immer Vollgas arbeiten, denn am Ende des Tages machen Geld und Erfolg nicht glücklich. Ich lege jetzt mal ein entspanntes Jahr ein und arbeite nur das, was notwendig ist. Gebe meinem Körper und meiner Seele Zeit, sich endlich erholen zu können.
Dass meine kleine Auftragskonditorei dann nicht durch die Decke gehen wird ist mir klar. 
Aber eigentlich ist es mir im Moment grade ziemlich egal, wie erfolgreich 2019 wird.
Den größten Erfolg werde ich feiern, wenn ich zum Jahrestag 2019 zufrieden und ausgeglichen auf ein neues Jahr im Leben 2.0 zurückblicken kann.

Ihr ahnt gar nicht, wie lange es gedauert hat, bis ich diesen Entschluss endlich akzeptieren konnte und mich nicht mehr dafür geschämt habe. Dafür, dass ich im kommenden Jahr kürzer treten werde. Tausend böse Gedanken und die Angst vor schlechtem Gerede schwirrten in meinem Kopf herum. Ich musste mich wirklich überwinden, hinter dieser Entscheidung zu stehen.

Aber es war eine Entscheidung, die mich sehr erleichtert hat und die mich den heutigen Tag mit einem viel besseren Gefühl feiern lässt, als ich es erwartet hätte.
Und das Piepsen in meinem Ohr, das mich seit Juli begleitet, hat sich seit dieser Entscheidung nur noch selten bemerkbar gemacht.




Blumenstrauß frontal fotografiert


1 Kommentar

  1. Liebe Julia, ich finde es sehr berührend, dass du uns so offen und ehrlich an deiner Reise teilhaben lässt. Auch ich hatte dieses Jahr einen Fahrradunfall, bei weitem nicht so heftig wie du, aber auch er hat mir gezeigt, dass ich das Leben noch einmal bedenken muss. Es ist auch für mich schwierig nicht so zu tun als wäre er nie da gewesen und ich hoffe wie du, dass ich mich 2019 zurücknehmen kann und nicht immer nur mache, mache, mache, ohne auf meinen Körper zu hören. Ich wünsche dir von Herzen, dass du deinen Plan umsetzen kannst und drücke dich aus Hamburg. Grüße, Jenny

    AntwortenLöschen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://www.juliabakes.de/p/datenschutz.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.

Folge mir auf Instagram