Julia Mauracher. Powered by Blogger.

Up and Down: drei Kurzgeschichten aus dem Leben 2.0

Mittwoch, 26.07.2017

Während meiner Zugfahrt nach Murnau fällt mir plötzlich der 11. Dezember 2016 wieder ein. (Auch) ein verregneter Tag in München. Meine Großeltern und Eltern kamen aus Tirol zu Besuch, um mit mir und meiner Schwester das Tollwood Festival zu besuchen.
Ein schöner Tag, von dem es auch ein ziemlich verwackeltes, überbelichtetes Foto von uns allen gibt.
Wenn die Dinge ein wenig anders gelaufen wären, dann wäre dieses Foto das letzte Bild von mir gewesen. 
Müde sehe ich aus (das tun wir alle), aber wir haben auch alle ein Lächeln auf den Lippen.
Wenn ich meinem Foto-Ich in die Augen sehe, dann trifft mich ein schmerzlicher Stich direkt ins Herz. 
Wie gerne würde ich diese junge Frau darauf vorbereiten, was ihr in wenigen Tagen zustoßen wird.
Denn was wäre, wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt?
Hätte ich die darauf folgenden Tage anders verbracht? Hätte ich allen Menschen auf dem Foto nochmal gesagt, wie sehr ich sie liebe?
Ja.
Wenn ich am 15. Dezember diese Welt verlassen hätte, dann nicht ohne ein kleines bisschen Bedauern.
Darüber, dass ich nicht frei von selbst auferlegten Sorgen war, nicht oft genug 'Ich liebe dich' gesagt und das Leben vor lauter Anspruch an mich selbst nie wirklich genossen habe.
Und deshalb muss ich heute auch erkennen, dass im Vergleich zum Leben der Julia auf diesem Foto das Leben der Julia von heute nicht nur schlechter und beschwerlicher, sondern auch ein bisschen besser ist.
Ja, irgendwo hat sich mein Leben auch verbessert.
Körperliche Einschränkungen, Schmerzen, Flash-Backs und eine große Traurigkeit sind mein stetiger Begleiter geworden.
Aber auch Dankbarkeit, Liebe, Geduld und Mut. Und weniger Gründe, etwas bedauern zu müssen.

Während ich dann durch die Unfallklinik spaziere, passiert etwas sehr seltsames: die ganze Zeit über lächle ich. Mich überkommt eine seltsame Mischung aus Schmerz, weil es auch düstere Erinnerungen gibt, und Freude. Freude über die schönen Erinnerungen, die ich mit diesem Ort verbinde: meine ersten Schritte, mein erstes Mal draußen Luft schnuppern, die Rollstuhlausfahrten durch Murnau,  meine lieben Zimmernachbarinnen und den Spaß den wir in der Cafeteria hatten, der Besuch vieler lieber Menschen, die anstrengende und doch so effektive Reha. Die ersten warmen Frühlingstage, die diesem schwierigen Winter Tschüss sagten. Die Hoffnung und das Selbstvertrauen, das mir dort gegeben wurde.
Besuche im Klinikum Harlaching enden immer mit Tränen und schlechter Stimmung.
Zu traumatisch sind die Erinnerungen an dieses kalte Gebäude, diese Notaufnahme, diesen Schockraum und diese Intensivstation.
Die Klinik in Murnau bedeutet Neuanfang. Der Start in ein neues Leben.
Während ich im Wartebereich meiner ehemaligen Station sitze und jedes Gesicht hier kenne, wie ferngesteuert zum Röntgen laufe, verirrten Patienten den Weg weise und im Röntgenraum mit Fachbegriffen um mich werfe, durchströmt mich immer wieder dieser wahnsinnige Stolz auf mich selbst.
Was ich alles gelernt habe in diesen Monaten, über mich, das Leben, meinen Körper, Menschen, ist unglaublich viel und wertvoll. Das kann mir niemand nehmen.
Das sind Dinge, die mich heute ausmachen.



Nahaufnahme Baum im Vondelpark


Samstag, 29.07.2017

Es ist Samstag und ich sitze in einem Raum voller fremder Menschen.
Wir alle haben uns im Yogastudio "Yogaliebe München" bei Esther versammelt, um gemeinsam mit dem Südtiroler ( <3 ) Unternehmen Plose Mineralwasser und den Mädels der Agentur kommunikation.pur, Verena und Anne, etwas über Wasser, vegane Ernährung und Yoga zu lernen.
Wie an jedem anderen Tag auch seit dem 15.12., kommt der Unfall zur Sprache.
Aber nicht nur im negativen Sinne, sondern für mich sogar eher im Positiven.
Ohne den Unfall und die damit verbundenen Erlebnisse wäre ich heute nicht hier, hätte nicht meine große Liebe zum Yoga entdeckt, würde mich nicht für nachhaltige Ernährung interessieren und hätte vermutlich auch nicht den Mut gehabt, an dem Blogger-Event teilzunehmen.
Esther's Yogastunde ist anstrengend und für mich etwas beschwerlich.
Ich genieße jede Sekunde davon. Fühle mich so wohl wie lange nicht mehr in meinem Körper. Ich liebe es, jeden Muskel, den ich mühsam wieder aufgebaut habe, zu spüren.
Sie geht auf meine Bedürfnisse ein, aber am Ende der Stunde erkenne ich, dass ich im Grunde alle Übungen ausführen konnte.
Ein schöner Tag mit viel Sonne, tollen Gesprächen, leckerem Essen und so viel neuem Input.
Ein Tag, den es ohne den Unfall sicherlich nicht gegeben hätte.
Ein Punkt für die "Pro"-Liste.


Blick auf den winterlichen Achensee


Samstag, 05.08.2017

Auf dem Weg nach Brunnthal kommen wir an einer Unfallstelle vorbei.
Ein Motorrad und ein PKW sind wohl miteinander kollidiert.
Wir stehen im Stau und ich mache mich erst lustig darüber. Dann ärgere ich mich.
Und dann, dann sehe ich dieses Motorrad am Boden.
Die Bilder, die meine Augen sehen, rufen sofort die Bilder aus meiner Polizeiakte wieder auf.
Innerhalb einer Sekunde kommt die Panik wieder.
Heftige Tränen, Herzklopfen, Schluchzen.
Angst.
Das ist ein Grund, warum ich auf die Frage: 'Na, alles wieder gut?' immer mit 'Nein.' antworte.
Es wird gut nie "alles wieder gut" sein.
Diese Erinnerungen und die damit verbundenen Emotionen werden mich nie verlassen.

Tagelang habe ich nun das Internet durchforstet nach dem Unfall, wollte wissen, ob dabei jemand zu Schaden gekommen ist. Ich kann nicht aufhören, an diesen Motorradfahrer zu denken, ihm das Beste zu wünschen und dankbar dafür zu sein, dass jeder, der meinen Unfall damals gegoogelt hat, erfahren durfte, dass ich überlebt habe.


Hier geht es zu den anderen Posts aus der Reihe "Gedanken".

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