Julia Mauracher. Powered by Blogger.

Sechs Monate Leben 2.0 - Ein Rückblick


Hätte jemand vor sechs Monaten zu mir gesagt:
"Julia, du wirst im nächsten Jahr einen Kinofilm mit Meryl Streep drehen und nach Kanada ziehen.",
hätte ich es ihm vermutlich geglaubt.

Hätte jemand zu mir gesagt:
"Julia, du wirst ist einen schweren Fahrradunfall verwickelt werden, monatelang im Krankenhaus liegen und 20 gebrochene Knochen haben.",
dann hätte ich vermutlich die Augenbrauen hochgezogen und müde gelächelt.

Denn mir passiert so etwas nicht.



verblühende Pfingstrosen_1

Ich habe mein Leben lang Winter- und Bergsport gemacht, meine Kindheit draußen verbracht, bin Fahrrad, Moped, Auto und Wohnmobil gefahren.
Die größten Verletzungen dabei waren eine Gehirnerschütterung und eine tiefe Schürfwunde am Fuß.
Die Kilometerzahl, die ich alleine in meinem ersten Jahr in München mit dem Fahrrad zurückgelegt habe, zählt vermutlich mehrere Hunderterstellen.
Mir ist kein einziges Mal was zugestoßen.

Aber an diesem einen Tag im Dezember 2016, auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, wenn man es am wenigsten erwarten, ist mir was zugestoßen.
Ein SUV.

Ein kleiner Augenblick, der alles für immer verändert hat.
Was danach passiert ist, haben Leser und Follower meiner Social Media Kanäle bereits mitbekommen.
Klinik, Operation, Operation, neue Klinik, wieder Operation, Reha, zweite Reha, Physiotherapie.
Und Psychotherapie, ganz viel davon.
Noch immer zittere ich bei den Erinnerungen an diesen Abend, an die grellen Scheinwerferlichter, an das Gefühl, ein kleines Nichts zu sein, an die Menschen um mich herum und an eine Angst, wie ich sie noch nie im Leben verspürt habe.
Die sogenannte Todesangst.

Ich arbeite nun seit April mit einer Therapie namens EMDR Eye Movement Desensitization and Reprocessing.
Es gibt viele Therapien, um eine Posttraumatische Belastungsstörung zu behandeln, EMDR ist eine davon.
Gerne schreibe ich bei Interesse und nach Beendigung meiner Therapie mehr darüber.

Im physischen Bereich arbeite ich nach wie vor mit Physiotherapeuten und Osteopathen, mehrmals wöchentlich.
Diese Therapien werde ich vermutlich noch viele weitere Jahre fortführen.
Morgens habe ich nun ein tägliches Yoga - Programm gestartet, damit ich den bevorstehenden Alltag besser meistern kann.
Durch einen Wirbelbruch ist gerade das Sitzen eine ziemlich schmerzhafte Angelegenheit und ich habe bemerkt, dass es durch die tägliche Yoga - Einheit besser wird.

Hilfsmittel im Alltag:
ein Ball - Sitzkissen, das die Balance fördert und somit die Wirbelsäule entlastet, unterstützende Schuhsohlen, damit mein Gangbild nicht komplett aus der Bahn gerät, ein Sonnenschutz - Blocker LSF 50 für die Narben, die an die Sonne kommen und Bachblüten - Tropfen, die mich in schwierigen Situationen beruhigen.
Ja, manchmal fühle ich mich wie eine alte Dame.
Aber dann erinnere ich mich wieder an meine "bewegungsfreie Woche" auf der Intensivstation und bin dankbar dafür, dass ich überhaupt ein Gangbild habe.

Und nun der angekündigte Rückblick, eine kleine Zwischenabrechnung nach sechs Monaten im neuen Leben:



WAS ICH GELERNT HABE

So, so vieles.
Aber drei Dinge stechen hervor.

1. Vertraue deinem Körper.
Ärzte sagen manchmal komische Dinge, nehmen dich nicht ernst oder gehen vom schlimmst möglichen Szenario aus.
Im Endeffekt weißt aber nur du, ob und wie sehr etwas weh tut, ob etwas nicht stimmt mit dir oder wie viel du dir bereits wieder zutraust.
Ärzte wissen nicht immer alles und machen Fehler, vertraue deinem Gefühl.
Ein Beispiel: bei einer Routinekontrolle schien meine gebrochene Speiche auf dem Röntgenbild nicht wirklich gut zu verheilen und der Arzt begann schon besorgt zu grummeln und nach einer Ursache für die verzögerte Heilung zu suchen, bis ich ihn darauf hinwies, dass er die falschen, zwei Monate alten Röntgenaufnahmen ansah.
Auf den neuen Aufnahmen sah die Speiche wesentlich besser aus, so wie sie sich inzwischen auch wieder anfühlte. Ich hatte mich ehrlich schon sehr gewundert.
Halte deine Augen offen und sag, wenn dir irgendetwas seltsam vorkommt.

2. Sei ehrlich zu dir selbst.
Nichts desto trotz darf man niemals blauäugig an eine Verletzung rangehen.
Informiere dich, was genau verletzt ist und sei ehrlich zu dir selbst.
Manchmal fällt es schwer zu akzeptieren, wie schlimm es einen wirklich erwischt hat.
Es hilft aber sehr, eine Verletzung anzunehmen, sie zu akzeptieren und dem Körper dann auch die nötige Zeit zu geben, um sich zu erholen.
Wenn die Tränen kommen, lass sie laufen.
Dein Körper braucht Wut, Trauer oder Träume, um ein Trauma zu verarbeiten und je eher man sich selbst eingesteht, was passiert ist und dass man unter Umständen wirklich schwer verletzt ist, desto eher kann der Heilungsprozess beginnen.

3. Nimm dir die Zeit, die dir zusteht.
Das fängt mit der täglichen Arztvisite an.
Ich habe mir jeden Abend eine Liste mit Fragen oder Anregungen geschrieben, die ich am nächsten Morgen den Ärzten präsentiert habe.
Ohne diese Liste war ich morgens nach einer meist schlaflosen Nacht einfach nicht fit genug, um die Ärzte für mich zu gewinnen.
Die haben nämlich immer Stress und lassen sich nur durch bohrende, klar durchdachte Fragen am Weiterziehen hindern.
Auch in allen anderen Fällen muss man sich selbst Zeit geben.
Bei der körperlichen sowie der psychischen Genesung, beim Arbeits - Wiedereintritt und auch bei Plänen, die man schmieden während einem in der Klinik langweilig ist.
Dass ich direkt nach meiner Entlassung nicht nach Bali fliegen werde, wurde mir erst am Tag der Entlassung klar.
In meinem Kopf hatten zwei Monate Genesungszeit ausgereicht, um wieder durchzustarten.
Mein Körper sagte jedoch ganz was anderes.


WAS ICH BESSER MACHEN KÖNNTE

Punkt drei.
Geduld war noch nie meine Stärke und ist es immer noch nicht.
Ich bin in meinem Kopf immer noch schneller als mein Körper mithalten kann.
So oft habe ich Pläne, die in meiner momentanen Verfassung einfach nicht umsetzbar sind.
Auch mir fällt es nach wie vor ständig schwer, zu akzeptieren, dass ich nicht mehr der "junge Hüpfer" von 2016 bin und dass es noch "ein Weilchen" dauern wird, bis ich wieder so fit bin wie vor dem Unfall. 
(Dass ich das jemals wieder werde stellen übrigens viele Ärzte in Frage. ICH NICHT.)


WOFÜR ICH DANKBAR BIN

Dafür, wie sehr sich mein Leben auch positiv verändert hat.
So viele Dinge, die gerade passieren, wären ohne den Unfall vermutlich nicht passiert.
Und dabei sind es wirklich schöne Dinge.
Ich bin so viel mutiger, selbstbestimmter und frei-denkender als zuvor.
Ab und zu komme ich in Situationen, in den ich früher vielleicht einfach "Ja und Amen" gesagt hätte, heute sagen ich "Nein."
Dafür bin ich dankbar.
Und für den Support, den ich von Menschen aus aller Welt bekommen habe.
Fast jeder Mensch, dessen Leben das meine mal gekreuzt hat, hat Anteil genommen, sich nach mir erkundigt, mich ermutigt.
Manchmal kam das von ganz unerwarteter Seite, was natürlich umso schöner ist.
Und ich bin nach wie vor dankbar für diese starke Familie, in die ich geboren wurde.
Plus neuem, deutschen Anhang.


WAS MEINE PLÄNE SIND

Mein großer Plan ist eigentlich ganz einfach:
ich möchte diesen Unfall zu mindestens 80% in etwas Positives verwandeln.
Ich möchte, dass durch diese neue Lebenssituation so viele schöne, gute Dinge passieren, dass ich vielleicht irgendwann mal dankbar dafür bin.
Das klingt richtig seltsam, ich weiß, aber ich möchte es versuchen.


WOVON ICH TRÄUME

Ich träume von den Seychellen, Malediven, Südafrika, Neuseeland, Bali, Thailand, Vietnam, Marokko, Mexiko, Island und Kanada.


WAS MICH TRAURIG MACHT

Bürokratie. Menschliches Leid in Kliniken. Die Bezahlung von Pflegekräften.
Dass ich von dem einen Menschen bis heute kein einziges Wort gehört habe.



verblühende Pfingstrosen_2


Übrigens, falls sich jemand fragt, "warum schreibt die das alles hier?"
Ganz einfach!
Weil's mir hilft.
Und weil vielleicht irgendwann mal jemand "Erfahrungsbericht nach Unfall" googelt, auf diese Zeilen stößt und sich dadurch besser fühlen kann.


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