Julia Mauracher. Powered by Blogger.

Die Zwangspause oder: Schön ist es, auf der Welt zu sein

Mein Unfallbericht_Foto aus Südtirol




Frau M., machen Sie in Ihrem Leben eigentlich auch Pausen?“
Diese Frage wurde mir eines Tages während des Aufenthaltes hier in der Klinik gestellt.
Ich wollte sofort „Ja!“ sagen, aber dann musste ich plötzlich stutzen.
Was sollte diese Frage eigentlich bedeuten?


Natürlich mache ich Pausen.
Mittagspause, Urlaub am Meer, Wochenenden, Serienabende. Oder ganz konkret: nach meiner Physiotherapie mache ich auch immer ein kurzes Nickerchen, bevor es zur Beingymnastik geht.
Und dann habe ich ganz ehrlich über diese Pausen nachgedacht.
Mittagspause heißt oft Essen warmmachen und neben dem PC essen. Wenn dann das Telefon klingelt, dann gehe ich oft auch dran.
Während der Urlaubstage am Meer habe ich täglich meine sämtlichen Accounts bei sozialen Netzwerken gecheckt und ganz nebenbei auch noch ein Vorstellungsgespräch geführt und einen neuen Job ergattert.
Am Wochenende arbeite ich alle zwei Wochen in meinem Nebenjob in der Gastronomie.
Wenn ich dort nicht arbeite, dann arbeite ich an einem neuen Blogpost.
Und das Nickerchen nach der Physiotherapie ist eigentlich auch geprägt von Gedanken an das, was ich alles noch erledigen muss an diesem Tag.


Tatsächlich habe ich erst einmal in meinem Leben eine RICHTIGE Pause gemacht: nach der Matura, als ich als Studentin eingeschrieben war, aber nach drei Wochen einfach nicht mehr hinging. Stattdessen habe ich ein ganzes Jahr damit verbracht, lange zu schlafen, ein wenig zu arbeiten, mich auf die Aufnahmeprüfungen an Schauspielschulen vorzubereiten, „Sims“ zu spielen, nach New York zu reisen, meine kleine Nachbarin zu bespaßen, eine sehr enge Beziehung zu einem Kater aufzubauen, in einem Musical mitzuspielen und ein paar Pies zu backen.
Es war ein gutes Jahr.
Es ist nichts passiert, keine Karriere, kein großartiges Einkommen.
Ich habe einfach nur gelebt, ohne viele Sorgen und Verpflichtungen.

Klar, ich war 19 Jahre jung, lebte zuhause. Für mich wurde gesorgt.
Es ist einfach, in so einer Situation loszulassen und einfach mal nichts zu machen.
Heute wäre das viel viel schwieriger.

STOP.
Genau hier möchte ich einhaken: WARUM zum Teufel ist es heute schwieriger?
Vieleicht ist die Entscheidung, eine Pause zu wagen, schwierig, aber meine tatsächliche Pause verläuft bis jetzt eigentlich äußerst unkompliziert und es ist auch gar nicht schwierg. (Den Umständen entsprechend.)
Mein Schicksal hat am 15. Dezember vergangenen Jahres beschlossen, dass mir der Part mit dem Entscheiden erspart bleibt und ich ganz einfach zu einer Pause gezwungen werde. Ob ich wollte, oder nicht.

Es begann mit einem kleinen Moment.
Ein Zusammenstoß, der mein Leben verändert hat, gefolgt von 40 seltsamen, irreal wirkenden Minuten.
40 Minuten, so lange hat es gedauert, bis ich nach meinem Unfall in einem Schockraum in München in eine, im wahrsten Sinne des Wortes, künstlche Pause geschickt wurde. Eine Pause, die bis heute anhält und noch lange nicht vorbei sein wird.
Ich wünsche NIEMANDEM auf dieser Welt, dass es das erleben muss, was ich erlebt habe.
Aber für mich war es wohl an der Zeit.
So klicheehaft das jetzt auch klingen mag, dieser Unfall und meine Zwangspause haben mich wahnsinnig zum Nachdenken gebracht.
Was will ich von diesem Leben und warum kann ich keine Pausen machen? Warum habe ich so große Angst davor?

Und warum setze ich mir selbst immer wieder Limits?
Wie oft habe ich mir selbst gesagt, dass ich all meine Träume sowieso niemals verwirklichen kann, dass das alles total unrealistisch ist?


Mein Unfallbericht_Foto aus Südtirol


Nun, als ich kurz vor Weihnachten mit einer zweistelligen Zahl von Knochenbrüchen in einem Krankenhaus in München lag und meine Lunge so schwach war, dass ich kaum mehrere Sätze hintereinander sprechen konnte, ohne atemlos zu sein, konnte ich es mir auch nicht vorstellen, jemals wieder tanzen zu können oder irgendwann mal wieder voller Inbrunst einen Popsong zu singen.
Und dann war es tatsächlich so, dass ich nach nur 6 Wochen meine ersten Schritte gemacht habe.
Gesungen habe ich sogar noch früher, bereits eine Woche nach dem Unfall.
Ich wurde operiert und hatte ganz schön Angst davor.
Irgendwo habe ich mal gehört, dass man das Gefühl der Angst nicht verspüren kann, während man singt.
Also habe ich mit erschöpfter, zarter Stimme gemeinsam mit meinem Papa (und später ein paar supercoolen Ärzten) „Über den Wolken“ gesungen, bis mich die Narkose ins Traumland geschickt hat.

Zu sehen, wie unrealistisch diese Träume anfangs schienen und wie schnell ich sie mir aber verwirklicht habe, hat mich verändert.
Ich bin heute viel mutiger. Abenteuerlustig. Ein wenig furchtloser.
Und vor allem geht mir ständig ein Satz im Kopf rum: WARUM NICHT, VERDAMMT?!
Warum ständig Angst und Sorgen haben? Warum sich ständig selbst anzweifeln?
Warum sich ständig in der Komfortzone verstecken?

Ich habe am eigenen Leib erfahren, dass es manchmal nur eine Sekunde ist, die entscheidet, ob man überleben darf oder nicht.
Und ich habe in dieser einen Sekunde erkannt, dass ich noch nicht bereit bin, zu gehen.
Ich habe so viele Pläne und Träume, die ich in die Tat umsetzen möchte.
Und ich möchte nun keine Zeit mehr verlieren.

Im Hinterkopf bleibt natürlich immer die Ermahnung, dass ich nicht verlernen sollte, Pausen zu machen. Motivation und Energie lassen manchmal keine Pausen zu.
Aber auch davor habe ich keine Angst mehr: einfach mal stehen zu bleiben, durchzuatmen und mich hinzusetzen. Im wahrsten und auch im übertragenen Sinne des Wortes.

Warum ich das hier alles schreibe?
Weil ich weiß, wie viele junge (und auch ältere) Menschen sich da draußen mit genau diesen Gedanken rumschlagen.
Und mal ganz ehrlich, es kann nicht jeder von uns erst einen schweren Unfall haben, bis man diese Dinge erkennt.
Ich hoffe, dass ich euch motivieren kann, mutig zu sein und keine Angst zu haben, auch mal für euch selbst einzustehen und einfach NEIN oder STOP zu sagen.
Niemand schreibt uns vor, wie wir unser Leben zu leben haben.
Es ist schwierig, aus festgefahrenen Situationen wieder auszubrechen und sich in unbekannte Gewässer zu begeben, aber es ist absolut notwendig, das ab und zu mal zu tun.
Wir haben nicht ewig Zeit. Ist leider so.

Ich erlebe nun die siebte Woche nach meinem Unfall und habe mir meine Mobilität zurück gekämpft. Schritt für Schritt. Es lagen viele Steine im Weg und es wird noch sehr viel länger als nur sieben weitere Wochen brauchen, bis ich wieder komplett fit bin, aber ich bin wirklich dankbar für jeden einzelnen Tag, für jeden Schritt, jede Umarmung eines lieben Menschen.
Ich arbeite jeden Tag daran, eine schreckliche Situatuion in eine Gute zu verwandeln und ich sage euch: ich bin auf dem besten Weg dahin.


Mein Unfallbericht_Foto aus Südtirol


Es ist SO, SO schön, auf dieser Welt zu sein. Egal, wie viele böse Kriege grade herrschen, egal, ob Amerika sich grade selbst zu Grunde richtet, wir alle überarbeitet oder voller Liebeskummer sind: es ist einfach WUNDERBAR, zu leben.
Und das alleine macht jeden Tag lebenswert.

Ich möchte an dieser Stelle auch kurz noch DANKE an ein paar Menschen sagen, die mich bisher begleitet haben und mein neues Leben so erträglich wie möglich gemacht haben.
Ihr habt Unglaubliches geleistet, seid über eure eigenen Grenzen gegangen, habt euch selbst ganz hinten und mich ganz vorne angestellt, ward stark für mich, habt mit mir gelacht und geweint, habt mir Hoffnung genauso wie Realität gegeben, mich mit allem versorgt, was man in einem Krankenhaus braucht, mir eure Anteilnahme ausgesprochen und selbstlos gehandelt.
Ihr seid der Grund, warum ich so schnell wieder auf die Beine gekommen bin, warum ich voller Tatendrang und Energie stecke und warum ich mein Leben heute einfach nur unglaublich liebe.
Namen brauche ich keine nennen, ihr wisst, wen von euch ich meine.


Mein Unfallbericht_Foto Strand in Sylt


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